Mittwoch, 13. Oktober 2010

So langsam lebt es sich ein

Die Zeit kann ganz schön schnell vergehen… und so ist schon wieder einiges passiert hier in Neuilly-Plaisance. Seit gestern ist zum Beispiel ein großer Streik, der dritte seit meiner Ankunft in Frankreich. Große Teile des öffentlichen Lebens sind lahmgelegt oder zumindest gestört, wovon ich aber nicht so viel mitbekomme. Ich bin um Viertel nach sechs aufgestanden und hab gegen halb acht mit der Arbeit angefangen. Neue Uhrzeit also, weil auch eine neue Aufgabe. Nachdem ich in der ersten Woche im Lager und im Verkauf geholfen habe, war ich die letzte Woche auf einem der LKWs, die in der région parisienne herum fahren und bei Leuten alte Möbel etc. einsammeln bzw. Lieferungen tätigen, d.h. im Laden gekaufte (Kühl)Schränke etc. zu den Kunden bringen. Die schlechte Nachricht zuerst: ich musste um 5:30 aufstehen, der LKW fuhr um Viertel vor 7 spätestens los. Andernfalls würde man nach Paris rein statt einer halben möglicherweise zwei Stunden brauchen. Daraus ergibt sich aber die gute Nachricht: ist man auf einem der LKWs, kommt man viel rum und sieht wirklich alle möglichen Orte in Paris und Banlieue. Vom Plattenbaubezirk zur Einfamilienhausidylle, vom 11. Arrondissement bis zum Department 94, man bekommt ganz verschiedene Eindrücke von der Gegend, den Leuten und ihrem Leben. Mal kommt man morgens in der Dunkelheit in Paris an, um aus dem vierten Stock eine Waschmaschine die Treppe runterzutragen, mal liefert man nachmittags einen Schrank in einem Vorort aus. Wenn man schnell ist und die Straßen frei sind, kann man dann schon einmal gegen halb elf fertig sein, hat also bis zum Mittagessen um zwölf Zeit. Wenn man Pech hat braucht man aber auch manchmal zwei Stunden, um in Paris anzukommen und ist erst um sechs Uhr abends fertig, also eine Stunde nach den anderen. Meistens waren wir aber früher fertig, was auch gerecht ist, schließlich steht man eine Stunde früher auf und macht nach dem Mittagessen direkt weiter, anstatt sich noch ein Stündchen auszuruhen.

Meine letzte Woche habe ich also als Teammitglied auf einem der LKWs verbracht, gestern saß ich dann direkt selbst hinterm Steuer. Ich habe zwar „nur“ den Transfer zwischen unserer Communauté und dem Lager „La Fontane“ übernommen, das heißt, morgens die der Communauté überlassenen Sachen zum Lager, dann die verkaufsfertigen Waren zurück und so weiter, aber trotzdem ist es schon ein Sprung, vom Corsa zuhause über den Kangoo in Étoile bis zum IVECO Transporter, bei dem man hinten im Grunde nichts sieht. Hat aber trotz des ziemlich plötzlichen Sprungs ins kalte Wasser ziemlich gut geklappt, ich bin schon dabei, mich an den Wagen zu gewöhnen, und so werde ich für den Rest der Woche diesen Job übernehmen.

Wenn ich nicht arbeite, lebe ich mich weiter hier ein, erkunde den Ort (auf der Suche nach Grünflächen zum Spazieren, Joggen oder Fahrradfahren), habe mir ein Fahrrad im Lager besorgt, was jetzt flott gemacht wird, oder fahre mit Anthony nach Paris, um ihm eine kleine Stadteinführung zu geben. Irgendwie schon cool, dass ich die wichtigsten Dinge finde, ohne groß auf den Plan zu gucken, aber auch weiß, wo gute Läden sind oder man günstig Essen kann. Allerdings fehlt mir noch das Wissen über gute und günstige Cafés, Restaurants und Clubs. Daran werde ich mich dann demnächst machen…

PS: ich genieße es sehr, französisches TV sehen zu können, bzw. die Spiele der „Bleus“! Unter Laurent Blanc geht es endlich aufwärts, so scheint es. Samstag gegen Roumänien 2:0, gestern gegen Luxemburg 2:0, d.h. erster Platz in der Qualigruppe für die Euro!


Unten sind noch ein paar Bilder aus der Zeit in Étoile, Bilder von hier kommen.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Fotos aus Étoile (Nachtrag)

Noch nachträglich ein Bilder von meiner Zeit in Étoile. Vom Seminar mit den anderen Freiwilligen, Ausflügen nach Lyon, Valence und Crest, meinem Einzelzimmer und dann dem Gruppenschlafsaal, der Fahrradtour und meinem Gepäck auf der Reise nach Paris.

















Sonntag, 3. Oktober 2010

Am Ziel: Neuilly-Plaisance

Da bin ich also, endlich, wirklich. Und ich habe das Gefühl, dass das Jahr jetzt erst richtig losgeht. Alles vorher war irgendwie nur Vorbereitung, war noch nicht ernst. Jetzt wird’s ernst. Am Dienstag war der letzte Morgen in Étoile und um halb 12 ging es zusammen mit anderen Freiwilligen, die über Paris gefahren sind, in Richtung Ziel. Zwei Stunden später habe ich mich dann von Chiu-Hua und Andrea, die beide in Vitré in einem Projekt sind, Catherine, unserer Betreuerin, und Peter, dessen Projekt nördlich von Paris ist, verabschiedet und habe zum ersten Mal den RER A, der mich von nun an mit der Seine-Metropole verbinden wird, in Richtung Marne-La-Valée genommen. Eine Viertelstunde später bin ich dann in Neuilly-Plaisance angekommen. Oliver, einer der beiden Verantwortlichen von Emmaüs Neuilly-Plaisance hat mich abgeholt und mich zunächst zu meiner Unterkunft für dieses Jahr gebracht. Es handelt sich dabei um ein kleines älteres Wohnhaus, in dem ich mit 7 Companions untergebracht bin. Ich muss zugeben, dass ich zunächst ein bisschen geschockt war von dem Haus, das insgesamt recht verwahrlost und dreckig aussieht. Ich wusste ja, dass ich keine Luxusherberge vorfinden würde, aber trotzdem war es für mich zunächst ein komisches Gefühl. Ähnlich habe ich mich gefühlt, als ich die Treppen hochstieg und mein Zimmer betrat. Nicht nur, dass es ziemlich nach Rauch stank, es war auch unordentlich und die Gardinen am Fenster sahen ziemlich unschön und verqualmt aus. Das Badezimmer direkt gegenüber, dass ich mir mit einem weiteren Companion teile, wobei ich nicht weiß, ob die anderen aus dem Haus es auch benutzen, sah so aus als wär es schon lange nicht mehr geputzt worden. Und das sag ich, der das Putzen des Bades gerne mal vergisst!
Ich hab dann aber erstmal meine Sachen dort abgestellt und Oliver hat mich zur eigentlichen Emmaüs Communauté gebracht. Die ist von meinem Haus nur ca. 5 Minuten zu Fuß entfernt und besteht aus dem Haupthaus mit Büros, Empfang, Aufenthaltsraum, Speisesaal und Unterkünften, einem weiteren Gebäude, in dem Companions wohnen, einem großen Hof, auf dem Möbel zum Verkauf rumstehen, mehreren großen Hallen, die als Verkaufsraum für Möbel, Elektrogeräte, Kleidung, Bücher etc. dienen, und weiteren Gebäuden, darunter eine Hütte, in der Jeder jederzeit den Kram, den er Emmaüs zum Verkauf überlassen will, abstellen kann. Außerdem befindet sich auf dem Gelände ein kleines Ziegengehege, in denen Nicolas und Carla (nicht Sarkozy/Bruni) wohnen. Im Haupthaus war übrigens die erste Emmaüs Gemeinschaft überhaupt, 1949 von Abbé Pierre gegründet, untergracht. Kommt man die Treppen zum Eingang hinauf, empfängt einen eine große Büste von ebendiesem. All das hat mir Oliver gezeigt, bevor er noch ein paar Dinge erledigen musste und mich für den Rest des Abends allein gelassen hat. So hab ich mich dann auch erstmal ein gefühlt. Neu unter all diesen Menschen, neu in dieser Organisation, neu in meinem neuen Zuhause, in dem ich mich noch so gar nicht zuhause fühlen konnte. Das Abendessen war ebenfalls eher ernüchternd, zumal ich nicht wusste, zu wem ich mich setzen konnte oder sollte.
Später am Abend ist auch der zweite Freiwillige, Anthony aus Uganda, eingetroffen. Er konnte auf Grund von Visa-Problemen nicht am Vorbereitungsseminar in Étoile teilnehmen. Mit ihm fühlte ich mich aber ein bisschen weniger einsam, zumal für ihn, der kein Französisch spricht und nie in Frankreich war alles noch viel neuer und fremder sein musste als für mich. Zusammen wurden wir dann am nächsten Tag ein bisschen rumgeführt und haben die verschiedenen zu Emmaüs gehörenden Einrichtungen gesehen. Da ist zum einen die Emmaüs Gemeinschaft Neuilly-sur-Marne, die nur ca. 2 km entfernt ist und mit Neuilly-Plaisance zusammen arbeitet (eine baldige Zusammenlegung ist geplant). Bisher gibt es auch dort Arbeitsstätten, Verkaufsräume und Unterkünfte. Schließlich gibt es noch „La Fontane“, ein großes Gebäude, in dem sich Werkstätten und Lager befinden. Hier kommen täglich LKW Ladungen von Dingen an, die Emmaüs zum Verkauf überlassen wurden. Unseren ersten Arbeitstag haben Tony ich in La Fontane verbracht. Wir haben beim Be- und Entladen sowie beim Selektieren der ankommenden Ware geholfen. Direkt im Eingangsbereich wird getrennt nach Geschirr und diversem Kleinkram (bric-à-brac), Technik, Büchern, Kleidung, Spielzeug und Möbeln. Kisten werden sortiert und neu gepackt, manche Teile entsorgt, andere repariert und schließlich wieder in die LKWs verladen, die die Sachen nach Neuilly-sur-Marne oder Neuilly-Plaisance zum Verkauf bringen. Auch am zweiten Arbeitstag, Donnerstag, waren Tony und ich in La Fontane. Die Arbeit ist gar nicht so schlecht und hat zudem einen kleinen Trainingseffekt durch das Herumtragen von Kisten und dem Entladen von Kühlschränken. Vor allem aber ist es interessant zu sehen, was die Leute alles so besitzen und irgendwann weggeben. Bei Emmaüs kommt wirklich alles an! Eine Aufzählung an Sachen, die ich allein an den zwei Tagen gesehen und in den Händen hatte, macht keinen Sinn – es gibt fast alles was man sich vorstellen kann. Praktisch ist das für uns, die dort arbeiten. Wenn wir was brauchen, können wir das in der Regel nehmen. Wenn wir es auch nicht mehr brauchen, geben wir es einfach zurück.
So haben Tony und ich inzwischen auch unsere Zimmer wohnlich gemacht. Ich habe eine kleine Stereoanlage, er hat einen Schrank für seine Klamotten. Alles was sonst so im Zimmer rumflog, haben wir rausgebracht. Besonders ein Tonys Zimmer lag wirklich unglaublich viel Müll rum, jetzt ist es wirklich nett. Auch ich bin mit meinem Zimmer zufrieden. Eventuell besorg ich mir noch einen kleinen Schreibtisch, sonst ist erstmal alles da. Bett, Schrank, Kommode, Stuhl, Fernseher, Nachttisch, Kühlschrank, Spiegel. Habe auch durchgewischt und nun riecht es nicht mehr so stark nach Rauch. Ich lebe mich also von Tag zu Tag ein. Noch habe ich mich aber nicht ans frühe Aufstehen (6:30) und die Tatsache, dass es noch dunkel ist, wenn ich zum Frühstück gehe (7:00), gewöhnt. Außerdem muss ich mich erst wieder darauf einstellen, dass ich abends wieder früher ins Bett muss. Lebe halt jetzt das Leben der normal arbeitenden Menschen.
Ungewohnt ist für mich auch das Essen, denn es gibt meisten Fleisch und dann oft nur ein bisschen Gemüse dazu. Mittags sind die Portionen außerdem relativ eingeschränkt, da dieses Essen für alle Pflicht ist und so immer um die 50 Leute im Speisesaal sind. Beim Abendessen herrscht keine Pflicht und viele Essen bei sich oder außerhalb. So kann man sich dann da eher den Bauch voll schlagen. Heute gab es auch zum ersten Mal Nudeln, außerdem Kroketten vom Mittagessen, ich habe also ordentlich zugeschlagen! Was es aber immer gibt, ist Baguette (morgens, mittags, abends) und Käse. Und mangels Gouda bin ich grade dabei, auf „echten“ Käse umzusteigen. Ist halt nur der da, also ess ich denn. Und ich gewöhn mich dran! Wenn ich zurück komme, kann ich wahrscheinlich keinen jungen Gouda mehr essen, weil der dann für mich zu wenig Geschmack hat.
Gestern war hier ein großer Sonderverkaufstag. Wir hatten also ein noch größeres Angebot als sonst und ein paar Preisaktionen. Und so haben sich die Leute nur so auf den Geschirrstand, an dem ich gearbeitet habe, gestürzt! Besonders am Anfang war es wirklich ein Kampf und man musste den Leuten erstmal begreiflich machen, dass sie nicht einfach an die Säcke gehen können, die hinter den Verkaufstischen sind, da sich dort die bereits verkauften Sachen befinden. Wenn es irgendwo was günstig gibt, können Menschen echt anstrengend werden… Ganz schön anstrengend also, der Tag. Umso schöner war dann der späte Abend. In Paris war Nuit Blanche, eine einjährige Aktion, bei der die ganze Nach Museen und Galerien offen sind und der Eintritt frei ist und es in den Straßen Aktionen, Musik und Installationen gibt. Ich bin zwar mit dem letzten Zug um 1 wieder nach Hause gefahren, es war aber trotzdem ein guter Abend und in der Stadt war echt was los. Schon cool, mal eben in den Zug zu steigen und ne Viertelstunde später mitten im Zentrum von Paris zu sein! Werde ich wohl morgen wieder machen. Aber erstmal werde ich ausschlafen! Sonntags und montags habe ich immer frei und so war ich heute Morgen mit ein paar Leuten von hier und vielen Jugendlichen aus der Gegend Fußball spielen.
Das war also mein erster Überblick zu Neuilly-Plaisance. Fotos von den letzten Tagen Étoile und natürlich noch mehr zu meinem Leben hier folgen!


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